„Also wie ist das nun?“ – fragt mich Chiara, Schauspielerin. „Wie klingt eine natürliche Stimme, wie sollte meine Stimme klingen? Du sagst doch, wir haben alle von Geburt an ein toll funktionierendes Instrument bekommen – was also gibt´s denn dann überhaupt zu lernen?“

Wenn wir älter werden, verändert sich durch das Wachstum unseres Kehlkopfes nicht nur die Stimme – wir werden uns auch zunehmend über unser Sprechen bewusst. Vielleicht möchte ich mich von meinem Dialekt distanzieren? Vielleicht wird mir bewusst, dass ich mir durch bestimmte Verhaltens- und Denkmuster eine viel zu hohe Sprechstimmlage angewöhnt habe?

Außerdem haben unterdrückte Gefühle und negative Erfahrungen ihre Spuren hinterlassen: wir ziehen den Bauch ein (bin zu dick!) und hemmen damit die freie Atmung, kriegen die Zähne nicht auseinander (hoffentlich versteht mich keiner!), kontrollieren unsere Mitteilung oder gewöhnen uns einen coolen, lässigen Knarzton an.

Im Schauspielstudium gibt es deshalb viel Raum für Stimme und Sprechen. Es gibt viel zu lernen. An der Technik wird gefeilt. Die Artikulation geschärft. Das volle und oftmals verschüttete Potenzial und die Ausdrucksfähigkeit der Stimme werden wieder entdeckt. Wir lernen, unsere inneren Klangräume zu öffnen, Blockaden abzubauen, Resonanz zu gewinnen. So gelingt es, eine starke Stimme zu bekommen, aber auch eine Stimme, die Zartheit und Intimität ausdrücken kann.

Die Einzigartigkeit deiner Stimme soll dabei erhalten bleiben. Es gibt, anders als oftmals gedacht, keine „Idealstimme“. Perfektes Sprechen gibt es nicht. Allenfalls Hörgewohnheiten. „Getunte“ Stimmen, wie wir sie aus Synchron oder Werbung kennen, zeigen niemals den vollen Ausdruck der Person. Eine freie Stimme ist aber idealerweise mitsamt ihrer persönlichen Prägung in der Lage, spielend auf der Gefühlsklaviatur alle Register zu bedienen. Darum geht es im Schauspiel. Das Ziel ist es also, dich immer tiefer und differenzierter ausdrücken zu können.

Deinen Dialekt darfst du selbstverständlich behalten – er ist ein kostbares Gut. Aber du solltest dich mit der Hochlautung so anfreunden, dass diese dir keine Schwierigkeiten macht, sondern du dich wie in einer Fremdsprache sicher und verständlich ausdrücken kannst. So kannst du frei wählen, wann du Dialekt sprechen möchtest und wann nicht. Als Schauspielerin solltest du verständlich und unangestrengt sprechen können. Und dich mit der Ausdrucksweise vieler unterschiedlicher Menschen/Autoren/Epochen/Stile vertraut machen, damit du überzeugend und glaubwürdig bist.

Zurück zu Chiara. „Wie deine Stimme also klingen soll, Chiara, kann ich dir nicht sagen. Wohl aber, ob sie mich interessiert. Ob sie etwas transportiert. Etwas zu sagen hat. Ob ich sie als dir zugehörig empfinde oder als verstellt. Ob dein Sprechen in mir klingt, Wahrheit, lebendige Impulse und klare Gedanken mit mir teilt. Ganz natürlich – weil du dich mir zeigen willst.“

Foto: Sander Sammy / Unsplash

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