Typisch männlich, typisch weiblich. Was unterscheidet eigentlich unsere Art der Kommunikation? Kommen wir wirklich jeweils von einem anderen Stern?
Für einen öffentlichen Fernsehsender habe ich mich mit diesen Fragen intensiv auseinandergesetzt. Denn für eine neue Sendung wurden einige Männer und Frauen gebeten, die Geschlechterrollen für ein paar Wochen zu tauschen. Als schauspielerische Laien bekamen sie perfektes Styling, Kostüm, mehrstündige Maske, und einen figurbetonten Ganzkörperanzug. Ich begleitete als Expertin für Stimme, Sprechen und Kommunikation die Veränderung von Männer- zu Frauenstimmen, und umgekehrt.
Männerstimmen und Frauenstimmen unterscheiden sich in erstaunlich vielen Details voneinander. Nur knapp ein Fünftel einer Sekunde braucht unser Gehirn, um die Stimme eines Menschen zuzuordnen. Das ist etwa so lange, wie wir zum Erkennen eines menschlichen Gesichtes benötigen, haben britische Forscher herausgefunden.
Die Stimmhöhe ist ein klassisches Merkmal dafür, ob eine Stimme als männlich oder weiblich eingestuft wird. Ob ein Mensch eine hohe oder tiefe Stimme hat, hängt unter anderem von der Größe der Stimmlippen ab. Je kürzer diese feinen Muskelstränge im Kehlkopf sind, desto häufiger schwingen sie pro Sekunde und desto höher ist die erzeugte Frequenz: die Stimme klingt also hoch. Die Stimme ist also teilweise körperlich bedingt. Männer sprechen in der Regel ca. eine Oktave tiefer als Frauen.
Allerdings werden diese biologischen Vorgaben auch überschätzt. Denn nicht nur der Kehlkopf definiert die Stimmlage und den Ton – auch die allgemeine Körperspannung und Haltung ist wichtig. Diese wirkt auf die vielen kleinen Muskeln, die am Entstehen der stimmlichen Äußerungen beteiligt sind. Das kennt wohl jeder aus dem eigenen Leben: wenn wir aufgeregt sind, wird auch die Stimmlage höher, sind wir dagegen ganz entspannt auf einer Party, die bis in die Morgenstunden dauert und auf der wir noch etwas getrunken haben, sinkt die Stimme in eine wohltuende, entspannte Tiefe.
Die Stimme ist auch immer an geschlechtliche Stereotypen gebunden. Sie ist im Sinne der Philosophin und Genderforscherin Judith Butlers, nicht als naturgegebene Größe zu verstehen, sondern als eine zeit- und kulturgebundene Konstruktion, die in Form ständiger Wiederholungen normativ bestimmter Praktiken, Handlungen, Erfahrungen, Wahrnehmungen und Urteile produziert wird. So werden laut Butler in der westlichen Kultur männliche und weibliche Sprechstimmen neben der Tonhöhe auch anhand von Artikulation, Intensität oder Intonation wahrgenommen, erkannt und differenziert, wobei dies auf angelernte Stimm- und Hörmuster zurückzuführen ist.
Und das stimmt – aus unserer Stimme lässt sich tatsächlich mehr heraushören als wir gemeinhin denken: Alter, Geschlecht, Nationalität, soziale Herkunft und unsere Gefühle – sie werden unweigerlich durch die Stimme verlautbart. Unsere Stimmwahrnehmung ist von Geschlechtsstereotypen bestimmt und bedient sich Männlichkeits- und Weiblichkeitsklischees. In der Werbung wird das häufig genutzt. Die verhauchte, verführerische Frauenstimme will uns einen Duft verkaufen, die seriöse, tiefe, sonore Männerstimme ein teures Auto. In unserer Kultur gilt bis heute die „tiefe Stimme“ als dominant, seriös und vertrauenswürdig. Im Gegensatz dazu wird die „hohe Stimme“ als unsicher, weniger kompetent und weniger durchsetzungsfähig wahrgenommen.
Dies zeigt sich auch im Bereich des Fernsehens oder Rundfunks, wenn Nachrichtensendungen oder Dokumentationen verstärkt mit tieferen (Frauen-)Stimmen besetzt werden, um ein Bild von Seriosität, Objektivität, Geistigkeit und Wissenschaftlichkeit zu vermitteln.
Als ich mit den Männern und Frauen für die Sendung arbeitete, konnte ich schnell zeigen, dass für eine geschlechtliche Verwandlung der Stimme, die Stimmhöhe tatsächlich nur wenig ausmacht. Viel wichtiger ist es, auf die Art der Kommunikation zu achten. Die Männer forderte ich beispielsweise dazu auf, viel mehr zu sagen. Ich zwang sie regelrecht, in Redefluss zu kommen! Auch sollten sie melodiöser sprechen, und vor allem über ihre Emotionen und voller Gefühl. Sie sollten sich beim Sprechen berühren und viel Blickkontakt suchen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten lief das wie am Schnürchen. Die Frauen wiederum schulten sich in Einsilbigkeit, kurzen Sätzen, klaren Ansagen, langen Pausen und in ganz anderen Gesprächsthemen: Sport, Autos, Frauen.
Letzen Endes entscheidend dafür, ob eine Stimme männlich oder weiblich wahgenommen wurde, war dann tatsächlich das Finden einer glaubwürdigen Figur, einer Person, die man als sozial gewachsene Einheit mit eigener Biografie interpretieren kann.
Für mich waren die beiden Tagen sehr intensiv und interessant. Ich war sowohl berührt von den Männern als auch von den Frauen. Denn sobald sie es schafften, wegzukommen von den Klischees über männliche und weibliche Stimmen, entstand oft eine Stimme, die glaubwürdig wurde. Natürlich kann man nicht in ein paar Tagen eine Stimme komplett verändern. Aber es zeigte mir wieder, wie wichtig es ist, wenn eine Stimme authentisch ist. Nur kann sie unsere Herzen bewegen.
Foto: Maria Lysenko / Unsplash